Duisburg hatte, wie wohl jede Stadt und jedes Dorf, in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine Reihe von „Originalen“. Menschen, denen es finanziell oft nicht gut ging und die wegen ihrer Eigenarten bekannt waren. Dabei waren sie die Außenseiter der Gesellschaft und einfach „anders“ als die Anderen. Sie lebten in der Duisburger Altstadt mit ihren kleinen Häusern, versteckten Höfen und winzigen Gärten in einer Zeit, die noch kein Kino, kein Fernsehen und kein Internet kannte. Das Leben spielte sich noch auf den Straßen und in den Altstadtkneipen ab.
Der Heimatverein „Die Oldstädter“ versucht, die Erinnerung an diese Altstadt und die Originale wach zu halten, indem er sich beispielsweise um die Grabstätte von Heinebein kümmert. Auch die ZeitZeugenBörse Duisburg erinnerte, neben der Erinnerung an Matthias Lixenfeld, immer wieder an diese Sonderlinge. So wurden drei von ihnen, Heinebein, Päpermünzmarie und der Vogelprofessor, im Karneval 2015 von Vorstandsmitgliedern dargestellt, traten bei der vereinseigenen Feier „Karneval Anno Pief“ auf und liefen im Rosenmontagszug mit.
Es gab natürlich noch viel mehr „Originale“ und es gibt sie zum Teil auch heute noch, aber im Folgenden will ich einige davon ein wenig genauer vorstellen:
Heinebein erblickte am 2. Januar 1841 als Theodor Scheulen in Ruhrort das Licht der Welt. Sein Vater war der Schreinermeister Heinrich Scheulen, der jedoch als Gaukler über die Jahrmärkte am Niederrhein zog. Seine Mutter war bei seiner Geburt gestorben und so zog er schon früh mit dem Vater und einem Tanzbären durch die Lande. Besonders in jungen Jahren muss er manchen Schabernack getrieben haben, wie in einem Buch des Journalisten Hermann Jung aus dem Jahre 1932 zu lesen ist.
Nach dem Tod des Vaters kam er nach Duisburg, kaufte sich eine Ziehharmonika und zog damit durch die Straßen der Altstadt. Aber nicht nur in Duisburg, sondern weit über die Stadtgrenzen hinaus war er bekannt. Hatte er sein Ständchen beendet floss das Geld reichlich. Waren aber seine Zuhörer einmal nicht so spendabel, sang er das Lied zum Trotz noch einmal. Später ließ er aber auch gerne den Gesang wegen Heiserkeit ausfallen oder konnte wegen "Gicht ön dä Knök" oder "ut Truer över ose tode Kaiser" nicht spielen. Die Leute gaben trotzdem ihre "fif oder tien Penning".
Als alter Mann lebte er vermutlich in einem Altersheim. Am 28. April 1914 starb er im St.-Vincenz-Hospital am Dellplatz. Er wurde unter großer Anteilnahme der Duisburger Bevölkerung auf dem Alten Friedhof am Sternbuschweg beigesetzt. Es gibt die Legende, dass kurz vor dem Begräbnis zwei schwarz verhangene Pferde den Leichenwagen vorzeitig anzogen und die Tiere nur mit Mühe zu bändigen waren. Wollte sich der liebe Heinebein mit seiner eigenen Leiche davonmachen?
Lange Zeit war die Lage des Grabes unbekannt, bevor die "Oldstädter" es in einer entlegenen Ecke des Friedhofs gefunden haben. So kam Heinebein 20 Jahre nach seinem Tod zu einer schlichten Grabtafel und seine Grabstätte wird seitdem gepflegt. In der Altstadt gab es später die "Heinebein Klause" mit einer "Erinnerungssammlung". Aber auch Schnaps und Zigarren wurden mit seinem Namen verkauft. Matthias Lixenfeld widmete ihm das "Heinebein-Lied".
Das Pfefferminzmariechen, oder wie der Duisburger sagte „Päpermünzmarie“, hieß eigentlich Maria Thyron und wurde 1872 geboren. Sie wuchs ohne Eltern auf und hatte viel Schabernack zu erdulden. Jeden Abend zog sie, fast ärmlich gekleidet aber stets sauber und mit einer weißen Schürze, durch die Lokale der Stadt. Außer ihrem Puppenwagen mit wohl einem halben Dutzend Puppen, mit denen sie sich stundenlang unterhalten konnte, hatte sie auch immer ihren „Bauchladen“ mit Pfefferminzrollen dabei. Egal ob elegantes Etablissement oder Altstadtkneipe, immer bot sie ihre Pfefferminzrollen zum Kauf an - große zu 15 und kleine zu 10 Pfennigen. Und es gab kaum jemanden, der ihr nicht wenigstens eine Rolle abkaufte.
Zwei Wochen nach ihrem 80. Geburtstag starb sie in einem Altenheim. Matthias Lixenfeld schrieb auch über sie ein Lied: "Marieche, dunn mich doch en Rölleke".
Jeden Tag zog der Rentner August Thiel mit einem Kinderwagen voller Brotkrumen, Mehlwürmern, Raupen und Samen auf den Kaiserberg. Er setzte sich auf eine Bank an der künstlichen Grotte direkt am Fischteich, um dort die Vögel zu füttern. Schon bald wurden die Tiere so zutraulich, dass sie ihm das Futter aus der Hand fraßen. Für die Eichhörnchen hatte er immer einige Nüsse dabei. Wanderer und Spaziergänger blieben stehen um dem Schauspiel zuzusehen.
Da der alte Mann recht klein war wurde er von einigen das „Vogelmännchen“ genannt. Für die meisten aber war er der „Vogelprofessor“. Kranke Vögel und Eichhörnchen fing er ein um sie zu Hause gesund zu pflegen und sie danach wieder mit in den Wald zu nehmen. Eines Tages aber blieb der Platz leer. Still, wie es seine Art war, war er für immer davongegangen.
Auf der Rheinstraße in der Nähe des Marientors wohnte Kattrin, ein kleines altes Frauchen, mit ihrem taubstummen Sohn in einer ärmlichen Wohnung. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie sich mit dem Aufsammeln von Pferdeäpfeln im damaligen Verkehrsmittelpunkt Duisburgs, dem Marientor. Täglich zog sie mit einem Wägelchen, das aus dem ausgedienten Gestell eines Kinderwagens und einer aufmontierten Kiste bestand, und einem Kehrblech durch die Straßen des Viertels und sammelte die Rossäpfel auf. So kam sie auch zu ihrem Namen, den ihr der Volksmund gegeben hatte.
Auch im dicksten Verkehr schaufelte sie den Pferdedung in ihre Karre und mancher Passant schüttelte verständnislos den Kopf, wie „Pädsköttels-Kattrin" für die Sauberkeit der Straßen sorgte. Nur wenige wussten, dass sie den Pferdedung zu einer Gerberei in Hochfeld brachte, wo er im Gerbprozess gebraucht wurde. Viel warf die Arbeit für „Pädsköttels-Kattrin" zwar nicht ab, aber sie war sparsam. Nachdem sie unerwartet gestorben war, wurde in ihrem Bett ein Betrag von mehreren tausend Mark gefunden, den sie für ihren Jungen zurückgelegt hatte. Dieses Geld behielt allerdings die Armenfürsorge, die sie jahrelang unterstützt hatte.
Im Marientorviertel wohnten in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg die drei geistig minderbemittelten Brüder Gerd, Hein und Kun Pieper. Über sie kursieren in Verbindung mit ihrer Mutter, der „Olschen Pieper“, viele reale oder erdachte Geschichten. Auf jeden Fall verübten sie aber allerlei albernen, harmlosen Unfug, so dass sich die Duisburger tagelang darüber amüsierten und sie die „dolle Piepers“ nannten.
Ihre Mutter war Witwe und musste sich neben ihrer Arbeit auch um die drei Brüder kümmern. Da sie wegen der Streiche immer in Sorge um die Jungen war, schloss sie sie im Hause ein. Trotzdem gelang es ihnen immer wieder, weitere Dummheiten anzustellen. Deshalb band sie die schon erwachsenen Männer an ihren Gemüsekarren fest, mit dem sie auf den Märkten stand und ihre Waren anbot.
Der Ausdruck „dolle Piepers“ hat sich in Duisburg noch lange gehalten. Wenn jemand als „dolle Pieper“ bezeichnet wurde hieß das, dass er nicht ganz ernst genommen wurde.